Im FoCus: SCHEIN UND SEIN

Benedict Haener
Der erste Eindruck täuscht – ein Satz, der wohl auf alle konzeptionellen Arbeiten von Benedict Haener zutrifft. Für den zweiten Eindruck - dem AHA-Erlebnis beim Bemerken der Täuschung - arbeitet er hart und intensiv und zieht mit Begeisterung alle ihm zur Verfügung stehenden Register. Denn Tüfteln, Erfinden, Werte hinterfragen und neue Werte generieren, interessiert ihn auf seinem neugierigen Weg zur perfekten Täuschung am meisten. Sein gut gefüllter Rucksack erlaubt es ihm, aus dem Vollen zu schöpfen. Als mehrfach ausgezeichneter Goldschmied mit anschliessend abgeschlossenem Studium zum Produkt- und Industrie-Designer an der Schule für Gestaltung in St.Gallen und dem Bachelor of arts, XS Schmuck, an der Hochschule Luzern, verfügt er über ausgezeichnete Werkzeuge, mit denen er alles umsetzen kann, was er will. Und das tut er mit viel Humor, Ironie und einer wunderbar verspielten Leichtigkeit.

Seine süsssauren Fruchtgummi-Schönheiten und Zuckerwürfel verursachen keine Karies, werden sogar von Zahnärzten vorbehaltlos empfohlen. Sein Schleifpapier schleift statt auf Oberflächen an unserer Wahrnehmung. Und seine monetären Wertschöpfungen lehrt konventionellen Kapitalisten das nackte Grausen.



Kill your Darling

Benedict Haeners Schleifpapier-Broschen gehören zu meinen absoluten Lieblingen. Schleifpapier – je glitzernder desto rabiater – wir kennen es alle: Eine kurze Zeit des Schleifens, Biss weg, Abfall. Nun schmücken die funkelnden Fetzen plötzlich die Held:innen-Brust und erstrahlen dank Benedict Haener in ungewohntem Rampenlicht. Aber als Schmuckstück taugt so ein abgeschabtes Stück Papier doch nicht wirklich, auch wenn es noch so glitzert, oder? Eine Schnapsidee? Natürlich. Für die coolsten Stücke steht am Anfang meist zuerst eine Schnapsidee. Benedict Haeners ursprüngliche (Schnaps-)Idee war, die Optik der Diamantbeschichtung von Diamantbohrern- und -fräsern auf Schmuck zu übertragen. Da die Diamantbeschichtung jedoch nur mit Nickel funktioniert, musste er umdenken. Seine Glitterbegeisterung führte vom einen zum andern und endete schliesslich im Schleifpapier-Imitat, das aus einer stabilen Aluplatte, bestückt mit feinen Diamantsplittern, besteht. Sogar die Rückseite erfüllt die Illusion eines profanen Schleifpapier-Abrisses.

Benedict Haener:
„Diamanten, Gold, Saphire, Perlen - was wir mit traditionellem Schmuck in Verbindung bringen - tritt in der Kollektion KILL YOUR DARLING auf neue und ungewohnte Weise in Erscheinung. Uns vertraute Alltagsgegenstände wie Süsssaures, Würfelzucker und Schleifpapier erhalten eine kreative Umwertung. Optisch bleiben sie, was sie sind, aber durch die Materialisierung mit Diamanten, Edelsteinen und Edelmetallen werden sie plötzlich zu kostbarem Schmuck. Die damit verbundene Irritation regt zum Nachdenken über den Wert von Luxusgütern an.“

PS: Aus Kostengründen verwendet Benedict Haener Labordiamanten. Gegen entsprechenden Vorschuss macht er jedoch die Schleifpapier-Broschen mit Begeisterung auch mit echten Diamantsplittern.



Klebriges Fruchtgummi oder Würfelzucker als Schmuck? So scheint es. Mindestens optisch ist der saure Apfel ein saurer Apfel und könnte der Würfelzucker jeden Kaffee süssen. Doch auch wenn uns beim Betrachten von Benedict Haeners schmucken Zuckerbomben sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammenläuft – Pavlov’s Dog lässt grüssen – würden wir uns an seinen süsssauren Stücken die Zähne ausbeissen. Auch hier gelingt ihm die perfekte Täuschung. Kunstharz, gesplittertes Glas, begeisterte Neugier, grosses handwerkliches Geschick und ein Zauberstab sind die magischen Zutaten. Nach langem Tüfteln hat Benedict Haener die Formel für die perfekte Illusion seiner süssen Leckerbissen gefunden.



Der Prozess des Machens generiert auch neue Ideen: Um die Diamanten für das Schleifpapier zu Staub zu pressen, legt Benedict Haener die Diamanten zwischen zwei verschweisste Stahlplatten (schaut aus wie ein Ravioli #Insiderwissen) Beim Pressen hinterliessen die Brillis im Stahlblech einen so faszinierenden Abdruck, dass sie Benedict Haener zu eine weiteren Arbeit inspirierten, bei der der Diamant - obwohl nur noch Abdruck - immer noch ein zart funkelndes Abbild seiner selbst bleibt.



Wertfantasien eines Börsenmaklers

War es klug, Benedict Haener eine Tausendernote auszuleihen? Kurzfristig NEIN!
Mit geschnipseltem Papiergeld kannst du keine Miete bezahlen. Langfristig? JA, auf jeden Fall! In naher Zukunft kannst du dir mit dem Schmuckstück vielleicht sogar eine Villa am Meer leisten.

Benedict Haener:
„Die auf der Welt zur Verfügung stehenden Finanzmittel sind ständig in Bewegung. Ununterbrochen werden sie umverteilt. Von aussen betrachtet wandert Kapital am liebsten dorthin, wo es sich vermehren kann. Manchmal geht es dabei an den Börsenmärkten grosse Risiken ein. Gibt es da nichts mehr zu holen, zieht es das Kapital zu sicheren, materiellen Werten wie Gold, Kunst und Immobilien.
Meine Arbeiten entstanden in der Auseinandersetzung mit Geldwerten. Am Anfang steht die Banknote, deren Wert durch gesellschaftliche Garantien hervorgeht. Das Schreddern der Noten lässt diese Garantien innert weniger Sekunden zunichtewerden. Durch viel Handarbeit entstehen aus den wertlosen Bruchstücken neue poetische Werke. Eine Umwertung vom monetären zum emotionalen Wert findet statt.“


PS: Lebenslauf Benedict Haener:

2020 - 2023 Bachelor of arts, XS Schmuck, HSLU Luzern
2015 - 2018 HF Industrial Design, GBS St.Gallen
2008 - 2012 Berufslehre Goldschmied, Firma Gut AG St.Gallen
1999 - 2007 Primar- und Sekundarschule, Horn, Thurgau

2023 ST.ART Nachwuchsförderpreis Kultur DESIGN & KUNST des Kantons Luzern
2013 World-Skills Berufs-Weltmeisterschaften Leipzig | Rang 5 | Diplom
2012 Swiss-Skills Berufs-Schweizermeisterschaften | Rang 1

06 | 2024 Teil der „Lisbon Jewellery Biennial“, Lissabon
03 | 2024 Einzelausstellung „Im FoCus“, Galerie friends of carlotta, Zürich
03 | 2024 Teil der Sonderschau „TALENTE - Meister der Zukunft 2024“, München
11 | 2023 Teil der Ausstellung, „Ho!Ho!Ho!“, Galerie friends of carlotta, Zürich
09 | 2023 Ausstellung mit Consuelo Keller und Christoph Zellweger, Atelier Zellweger, Zürich
09 | 2023 Teil der „International Graduate Show“, Galerie Marzee, Nijmegen
11 | 2022 Gruppenausstellung „Late Night Jewelry“ Raviolibar, Luzern