Ein Elefant auf dem Mars

Kiko Gianocca
Ein riesiger T-Rex und ein dickbauchiger Hase stehen sich gegenüber. Der T-Rex geifert, aber sein sowieso schon kleiner Kopf schrumpft rapide. Der Hase plustert sich auf und zerfliesst in ein breit grinsendes Maul mit langen Beinen. Ich liege gedankenflanierend in der Wiese und geniesse die vorbeiziehenden Wolkenfiguren und die damit verbundenen Dramen am blauen Himmel. Die Gabe, dass unser Gehirn uns Gesichter und Figuren in Gegenständen und Mustern erkennen lässt, nennt sich Pareidolie. Die Bezeichnung kommt aus dem Griechischen und bedeutet in etwa soviel wie Trugbild.

In seiner Arbeit «The Elephant on Mars» macht sich Kiko Gianocca dieses Phänomen zunutze. Er spielt mit unserer Wahrnehmung, indem er verschiedene Materialien und Formen so bearbeitet, kombiniert und entfremdet, dass wir darin etwas Vertrautes und Persönliches finden, ohne dass er es für uns ausformuliert. Diese Arbeitsweise macht ihn frei in seiner Formenfindung und gibt uns die Möglichkeit, uns auf eine frische und unvoreingenommene Art auf seine Stücke einzulassen. Was wir sehen, wie wir sie interpretieren, ist allein unsere Sache. Das provoziert nicht nur eine neue Sichtweise, sondern erlaubt auch eine sehr individuelle und persönliche Beziehung zu Kiko Gianoccas Stücken: «Ich mag die Vorstellung, dass ein Schmuckstück zwischen dem Körper (dem Selbst) und der Welt steht und eine Art Verbindung zwischen dem Innen und dem Außen darstellt. Als solche umschließen und schützen die Stücke nicht nur den Träger, sondern haben auch die Fähigkeit, nach innen zu greifen und Dinge, Gedanken und Gefühle zu bewegen.»

Den Marselefanten gibt es übrigens «wirklich». Er ist das Überbleibsel eines Lavaflusses in Elysium Planitia – einem Gelände auf dem Mars, das auf den übertragenen Bildern für das menschliche Auge wie ein ausgewachsener Elefant aussieht.

Bruna Hauert

P.S. Natürlich sind Pareidolien auch von praktischem Nutzen:
- Kaffeesatzlesen
- Rorschachtest
- Verschwörungstheorien


Graziano (Kiko) Gianocca wurde 1974 in Bellinzona geboren, studierte Gold und Silberschmiedekunst am Art Institute CFP in Florenz und schloss 1999 mit einem Bachelor in Bildender Kunst ab. Von 2000-2001 studierte er im Rahmen des eingeladenen Studentenprogramms an der Escola Massana in Barcelona. Von 2003 bis 2008 lebte Kiko in Melbourne, wo er seinen Master-Abschluss an der RMITUniversität (2003-2004) absolvierte und von 2004 bis 2007 auch lehrte. Im Jahr 2006 erhielt er den Emerging Artists Grant der australischen Regierung. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz im Jahr 2008 gewann er den Designpreis Schweiz und 2014 den Mari Funaki Award for Contemporary Jewellery. Seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt und von den Australian National Galleries in Melbourne, Brisbane & Adelaide sowie in der Pinakothek der Moderne in München, im CODA Museum in Apeldoorn (Niederlande) und im MUDAC in Lausanne gesammelt. Seit 2015 ist Kiko Gianocca einer der Ideengeber und Kuratoren von Artificio, dem Projekt zur Wertschätzung der Arbeit von Designern in der Südschweiz.