Wilhelm Tell’s Shot

Johanna Dahm
Shot through with a machine gun
the precious bar transformed
and investment broken up
like the apple on his son's head
a delicate equilibrium
Johanna Dahm


Was passiert, wenn man brachiale Gedanken wälzt zur Finanzkriese 2011 und sich genauso ohnmächtig und ausgeliefert fühlt wie damals Wilhelm Tell dem Landvogt Gessler? Johanna Dahm zum Beispiel geht in die Offensive und schiesst mit einem Maschinengewehr auf Edelmetall-Barren aus Gold und Silber. Ihre ebenso spielerische wie rabiate Auseinandersetzung mit traditionellen Werten wie Achtung und Respekt vor Obrigkeit und Vermögenswerten lässt einen wollüstig erschauern.

Johanna Dahms Schuss durch den Edelmetall-Barren vernichtet dessen Wert in seinem bisherigen Sinn. Gleichzeitig schafft sie durch seine Zerstörung einen Mehrwert. So wie einst Wilhelm Tell, als er der Legende nach mit der Armbrust den Apfel vom Kopf seines Sohnes schiessen musste. Von seinem legendären Mut und Widerstand nährt sich bis heute der Schweizer Nationalmythos.

Das grosse Loch inmitten der Barren ist brutal anzuschauen mit seinen aufgerissenen und zerfetzten Rändern. Und wird doch zur grossen Verführung für jede Schmuckliebhaberin: Spontan will man den Finger hindurch stecken und das zerstörte Heiligtum mit Begeisterung einem anderen, edleren Zweck zuführen. Denn trotz seiner zerfransten Rändern ist der Barren anschmiegsam und angenehm zu tragen. Falls er doch ein bisschen kratzt, ist das Ausdruck seiner Botschaft, findet Johanna Dahm.

Ein Schuss durch eine Cola-Dose bewegt uns nicht. Aber niemand schiesst auf Vermögenswerte und zerstört diese dadurch. Mit dem Schuss durch Edelmetall und -münzen begeht Johanna Dahm einen gewaltigen Tabubruch und setzt so symbolisch der Gier auf Werte ohne Sinn ein Ende. Gleichzeitig kreiert sie neues Verlangen und dadurch einen Wertzuwachs, den wir gerne bezahlen, wenn wir mit dem stolzen Objekt des Widerstandes an unserem Finger selbst zum Symbol des Aufbegehrens werden dürfen.

Bruna Hauert

P.S. Die Wilhelm Tell’s Shot-Ringe sind in der nächsten Ausstellung Ho!Ho!Ho! vom 17. November – 24. Dezember 2018 bei Friends of Carlotta ausgestellt.

Johanna Dahm wurde 1947 in Basel geboren und lebte bis zu ihrem 15. Lebensjahr in Kapstadt, Südafrika. Nach ihrer Ausbildung zur Goldschmiedin an der ZHDK (ehemals Kunstgewerbeschule Zürich) erhielt sie unter anderem 1974/1982/1984 das eidgenössische Stipendium für angewandte Kunst, 1978 den Leistungspreis der ZHDK und 1983 den Werkbeitrag des Kantons Zürich für bildende Kunst. Sie unterrichtete an verschiedenen Hochschulen auf der ganzen Welt, 1990 – 2005 war sie Professorin an der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim, Studiengang Schmuck & Objekte der Alltagskultur. Ihre Arbeiten sind vielfach publiziert und in internationalen Museen, Galerien und Ausstellungen vertreten.